‚Glaube, Liebe, Hoffnung‘ ist das, was die Augenzeug:innen der Glockenaushebung zu lesen bekommen, als der Metallkörper am Hebekran langsam auf die Ladefläche des Abschlepptransporters trudelt. „Wenn man als Pastorin mit dem Beruf anfängt, stellt man sich natürlich nicht vor, im Kirchenkreis die Erste zu sein, die Kirchen aufgibt.“ Friederike Böhm ist seit knapp zwei Jahre im Hasenwinkel, die 33jährige Theologin ist selbst Landkind. „Glaube, Liebe, Hoffnung – ich frage mich, ob das für die Frömmigkeit der Menschen in Rennau steht? Oder war das der Gedanke eines Einzelnen? Das geht mir durch den Kopf, während ich hier stehe und zusehe, wie die Glocke aus dem Dachgestühl gehoben wird.“ Theologisch gesehen ruft eine Kirchen- oder Kapellenglocke zum Gottesdienst. Nicht unverzichtbar, aber doch über Jahrhunderte Teil der kirchlichen Tradition.
"Wieso kauft der das?"
Das letzte Geläut in Rennau galt vor gut einem Jahr einem Verstorbenen, zum Gottesdienst hat die Rennauer Glocke letztmalig vor Corona gerufen. „Ich glaube, es war 2018. Denn wir tragen uns ja bereits länger mit dem Gedanken, das Gebäude aufzugeben“, erinnert sich Regine Müller, Kirchenvorsteherin und wie Jürgen Brandes auch Lektorin im Hasenwinkel. Die 56-Jährige ist auch Mitglied im Kirchenkreisvorstand und in diesem Ehrenamt bestens vertraut mit den Überlegungen zur Zukunft kirchlicher Gebäude. In Rennau ist sie aufgewachsen, wurde ihre Schwester getauft, sie selbst wurde hier konfirmiert.
Als Mutter von sechs inzwischen erwachsenen Kindern ist die gelernte Krankenschwester pragmatisch begabt. Und auch, wenn es ein Muss ist und kein Weg daran vorbeiführt: „Als ich heute rübergefahren bin, habe ich doch auch gedacht, das ist ganz schön traurig. Aber leider überwiegt bei mir im Moment das Abarbeiten des Notwendigen.“ Wenig Reaktionen habe sie im Ort erlebt, als erste Gespräche anstanden, eine anberaumte Gemeindeversammlung wurde nur von wenigen wahrgenommen. Als dann klar war, wer die Kapelle kaufen würde, ging es los. „Dann haben sich alle aufgeregt. Wieso kauft der das?“
Keiner wollte die Kirche haben
Der ist Nando Röckemann, Kinder- und Jugendpsychiater, seit über 30 Jahren lebt und arbeitet ‚der‘ in Rennau. Weil er sich damals in einen alten Hof verliebt hatte. Und später in die ehemalige Dorfschule. „Ich mag alte Gebäude mit Leben füllen.“ Nun ist er also bald auch stolzer Eigentümer einer Kirche. Und die soll für die Gemeinschaft im Dorf und darüber hinaus nutzbar werden, mit Konzerten und Veranstaltungen beispielsweise. „Es ist so ein schönes altes Gebäude mit so viel Geschichte und keiner wollte sie haben.“ Röckemann hat bereits der alten Dorfschule neues Leben eingehaucht, sie ist heute ein „Ort für Events“ mit einem „Spielplatz für alle“, so heißt es auf der Website des Vereines ‚Alte Schule Rennau‘, einem gemeinnützigen Treffpunkt in Rennau. Die Idee, die Initiative und die Anschubfinanzierung kamen von Nando Röckemann.
„Ich bin sehr zuversichtlich mit dem, was da jetzt passiert. Das wünsche ich mir, das hoffe ich und daran glaube ich“, sagt Kirchenvorsteherin Müller. „Ich bin sehr, sehr dankbar, dass da einer nicht nur sagt: Es müsste mal… “ ‚Neu‘-Rennauer Röckemann redet nicht nur, er macht. Der Verkauf der Rennauer Kirche ist von der Landeskirche aus genehmigt, der Kaufvertrag „ist in der Mache“, sagt Regine Müller. „Und vielleicht kommen die ja mal auf uns zu und sagen, ihr könnt hier eine Andacht machen. Dann kommen wir.“
"Schämen wir uns nicht!"
Die Rennauer Glocke liegt nun in der Ochsendorfer St. Stephani-Kirche. Für wie lange, ist unklar. Denn was damit werden soll, weiß zurzeit niemand. Auch die liturgischen Gegenstände – Taufbecken, Altarkreuz, Lesepult, Paramente, Abendmahlsgeschirr – werden nach der Entwidmung in die Ochsendorfer Kirche gebracht. „Die Wunde dieser aufgegebenen Kirche wird bleiben“, so Regionalbischöfin Marianne Gorka. Sie gehöre zur Kirche heute, einer Kirche, die kleiner wird. „Schämen wir uns nicht, diese Wunde zu zeigen. Denn wenn wir gehen, bleibt doch Gottes Segen und zieht mit uns.“